weil uns die patriarchale Justiz nicht schützen wird.

Rede auf der Protestkundebung anlässlich des Solo-Konzerts von Till Lindemann in Münster am 12.11.2023

Der Fall Till Lindemann zeigt auf ekelhafteste Art und Weise, dass sexualisierte Gewalt System hat; dass patriarchale Gewalt und der Schutz von Tätern Teil einer gesellschaftlichen Struktur ist, unter der wir als Frauen, als queere Menschen und trans Personen tagtäglich leiden.

Der Typ wegen dem wir heute hier sind und seine misogyne Bande sind selbstverständlich herzlichst zu verachten. Wir sind hier wegen einem Mann, einem Täter, der sich dieses System und seine Machtposition als reicher, berühmter Star auf grausame Weise zu Nutzen gemacht hat. Gleichzeitig ist es uns wichtig zu betonen, dass es solche Fälle täglich und weltweit gibt und unsere Wut sich heute auch insbesondere gegen das System richtet, dass auf dieser Gewalt gegen Frauen aufbaut. Wir leben in einem System, in dem es Wörter wie rape culture geben muss. In dem so viele von uns sexuelle Gewalt erleben. In dem nicht mal 8% verurteilt werden – von den maximal 15% angezeigten Fällen. In dem jeden dritten Tag ein Femizid begangen wird.

Die Dinge, die nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen TiII Lindemann passiert sind, sind ein wirklich exzellentes Paradebeispiel, wie mit Vorwürfen sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft umgegangen wird. Die Opfer werden als “famegeil” bezeichnet – als ob sie auf irgendeine Weise danach etwas positives erlebt hätten; sie werden bedroht und beleidigt. Sie werden vermutlich genauso belächelt wie wir heute von den Fans, die trotzdem oder gerade deshalb auf dieses Konzert gehen.

Und der Täter? Er darf weiter solo-shows spielen, sich weiter feiern lassen, und sich auf juristischer Ebene von einem System schützen lassen, dass für und von Männern gebaut ist. Und für die „weiß man alles nicht so genau”-Fraktion nochmal ganz eindeutig: Frauen unter Drogen zu setzen oder mit Alkohol abzufüllen um danach sexuelle Handlungen zu vollziehen, ist eine Vergewaltigung.

Dass es weder gesellschaftliche noch rechtliche Konsequenzen bei derartigen Vorwürfen gibt, ist ein Ausdruck davon, wie verankert und normalisiert diese Gewalt in unserer Gesellschaft ist.
Kosequenzen gibt es wenn für die Betroffenen, die jetzt die volle Wucht der antifeministischen Konterreaktion abbekommen und zum Feindbild der bürgerlich-konservativen und Rechten karikiert werden, die in ihnen alles sehen was sie hassen – zu woke, zu hysterisch, zu rachsüchtig. Oder wie wir es sagen würden: Sie hassen es, dass diese Frauen nicht auf den ihnen zugewiesenen erniedrigten Plätzen kauern bleiben, sondern sich wehren. Gemeinsam.

Es stimmt ja – Feminismus ist mittlerweile irgendwie en vogue und in aller Munde, selbst der mainstream und die Bürgerlichen wissen mittlerweile, dass es ohne Gleichstellungs-Bekenntnisse nicht mehr geht.

Und trotzdem stehen wir, stehen die Betroffenen dieser krassen sexuellen Gewalt, die aus der Verachtung und Entwürdigung von Frauen und ihren Körpern hervorgeht, wieder alleine da. Trotzdem können sich die Betroffenen in dieser Situation größter Vulnerabilität, in der es um die Unversehrtheit ihrer Körper geht, in keinster Weise auf den Rückhalt der Gesellschaft und den Schutz vom Staat verlassen. Dabei ist das doch eigentlich das erste ausformulierte Versprechen des Staates: Dass die Unversehrtheit unserer Körper garantiert und dass die
Würde aller Menschen geachtet wird. Das ist doch das absolute Mindestmaß, die Grundlage, auf der sich dieser Staat legitimiert. Nicht einmal dieses absolute Mindestmaß scheint für Frauen und Queers zu gelten.

Der Unwille und das Unvermögen der Justiz, die Betroffenen zu unterstützen, zu ihrem Recht zu verhelfen und frauenverachtende Gewalttäter als solche anzuerkennen, offenbart den patriarchalen Charakter dieser Justiz. Es offenbart, dass die Justiz als staatliches Organ keine neutrale Instanz ist, die im besten Wissen und Gewissen im Sinne der Menschen agiert, sondern Komplize des patriarchalen Kapitalismus ist, der sich auf die Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen stützt. In diesem Kapitalismus ist es die erste Aufgabe des Staates, die bestehende gesellschaftliche Ordnung aurechterhalten, und damit auch die patriarchale Gesellschaftsordnung.
Es ist deshalb keine Fehlfunktion der Justiz, dass sie uns gerade nicht schützen kann, kein nicht vorgesehener Mangel, den es nur zu beheben gilt. Indem der Staat Vergewaltigern den Rücken deckt, erfüllt er seine Funktion im patriarchalen Kapiatlismus. Er hält uns unten. Er sichert den Zugriff auf unsere Körper und die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse ab. Und in denen haben wir nicht so viel zu melden.

Das führt uns vor Augen, dass die diversity-programme und der liberale Quoten-Feminismus des mainstreams nichts anderes sind als neue Marketing-Strategien und die Kaschierung der patriarchalen Geschlechterordnung, die diese Gesellschaft nach wie vor trägt und von ihr getragen wird.
Davon dürfen wir uns nicht blenden und zufriedenstellen lassen. Die von uns historisch erkämpften Rechte sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern nach wie vor umkämpft und durch Aufstieg der Rechten hier und weltweit bedroht. Mit dem Aufstieg der AfD sind keine guten Zeiten für die Rechte von Frauen und Queers in Aussicht. Wenn wir uns jetzt schon nicht auf den demokratischen Staat verlassen können, wird das mit potenziellen AfD-Regierungen nicht besser werden. Deswegen müssen wir uns abseits des Staates organisieren, auf den wir uns eh nicht verlassen können. Und das ist keine leere Phrase oder Trotz-Aussage, sondern eine historische Erkenntnis, die sich aktuell wieder bestätigt.

Wir dürfen uns nicht auf die falsche Alternativen von Faschismus und progressivem Neoliberalismus einlassen: Unter seinem sozial-grün-diversen Deckmäntelchen untergräbt der neoliberale Kapitalismus gerade alle Grundlagen unseres Zusammenlebens, nimmt uns alle Sicherheiten, die uns noch bleiben und flutet alle unsere Lebensbereiche mit der Lebensfeindlichkeit der Marktlogik. Der Neoliberalismus kann niemals unser Komplize im Kampf für das gute Leben für alle sein. Er pinselt nur das bunt an, was das Schlechte nur immer und immer wieder hervorbringt.

Lasst uns zusammen für eine solidarische Gesellschaft kämpfen nicht nur heute, nicht nur wenn TL hier ist, nicht vereinzelt – sondern kollektiv, kontinuerlich, autonom. Lasst uns nach Wegen abseits von Kundgebungen und „Szene” suchen, die uns tatsächlich gemeinsam handlungsfähig machen. Denn ganz ehrlich – zufriedenstellend finden wir das nicht, dass unser Spielraum für Widerspruch, für Widerstand gegen die Gewalt gegen unsere Körper, eingehegt ist auf die paar Quadratmeter dieser angemeldeten Kundgebung und wir danach alle wieder nach Hause gehen, aber der patriarchale Horror geht weiter. Tag für Tag.

Dagegen kommen wir nicht vereinzelnd an, nicht nur durch individuell feminischtisches Verhalten und auch nicht nur in kleinen Grüppchen, die alle ihr eigenes Süppchen kochen. Was wir brauchen sind starke feministische und antifaschistische Allianzen. Also lasst uns Banden bilden, uns zusammenschließen, uns vertrauen lernen und in unseren Gemeinsamkeiten unsere Stärke finden. Wir werden das brauchen, bei allem was auf uns zukommt. Und wir werden das brauchen, wenn wir für etwas ganz anderes kämpfen wollen. Für eine solidarische Welt, ohne Ausbeutung und Unterdrückung, eine Welt, in der wir keine Angst mehr haben müssen. Keine von uns.