Verbindliche Solidarität organisieren – Rede zum Jahrestag des Mordes an Jina Amini

Vor einem knappen Jahr, am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, haben wir uns hier auf der Stubengasse gemeinsam versammelt, um unsere Verbundenheit in den feministischen Bewegungen weltweit zum Ausdruck zu bringen. Wir haben an die vielen Frauen und Mädchen, die im Iran und an vielen anderen Orten der Welt Opfer von Gewalt geworden sind, gedacht. Wir haben an Jina Mahsa Amini erinnert – die junge Kurdin, deren Tod durch die islamische Sittenpolizei eine ganze Revolutionsbewegung auslöste. Wir haben gemeinsam „Jin, Jiyan, Azadî“ gerufen und uns daran erinnert, dass die feministischen Kämpfe weltweit so vieles gemeinsam haben. Dass wir an so vielen Orten der Welt gegen die Gewalt kämpfen, die uns angetan wird: Durch Worte, durch Schläge, durch gesellschaftliche und staatliche Strukturen. Unsere Sehnsucht nach Freiheit und nach Selbstbestimmung vereint uns. So riefen es die iranischen Frauen schon am 8. März 1979, als sie gegen die Zwangsverschleierung auf die Straße gingen: „Freiheit ist weder westlich noch östlich, Freiheit ist international. Die Freiheit der Gesellschaft ist ohne die Freiheit der Frauen nicht möglich.“ Gemeinsam mit kurdischen, iranischen und vielen weiteren Feminist*innen haben wir an diesem Tag Kraft und Hoffnung geschöpft aus dem Wissen um die universale Verbundenheit unserer verschiedenen Kämpfe gegen patriarchale Gewalt und unterdrückerische Herrschaftssysteme.

Als Teil dieser Vernetzung, als Feminist*innen und Linke, die diese gemeinsamen Kämpfe weiterführen wollen, stehen wir heute hier. Solidarisch an der Seite derer, die im Iran und mit den Menschen im Iran gegen die patriarchale und religiös-fundamentalistische Herrschaft des islamischen Mullah-Regimes kämpfen.

Im letzten Jahr haben wir versucht, herauszufinden, wie Solidarität hier in Deutschland konkret aussehen kann, was die Rolle der deutschen Linken sein kann, um das Regime zu schwächen und den für Freiheit kämpfenden Menschen im Iran den Rücken zu stärken. Wir haben versucht, kontinuierlich dabei zu sein, wenn die iranische Community, wenn ihr, jeden Samstag in Münster auf der Straße wart, um Gerechtigkeit zu fordern und das Sterben zu beenden. Aber wir mussten auch beobachten, dass es immer weniger Menschen wurden, die sich versammelten, das wir immer weniger wurden und dass das Thema langsam, aber beständig aus der Auseinandersetzung verschwand.

Wir haben es als deutsche Linke nicht geschafft, die Doppelmoral der Herrschenden offenzulegen und anzugreifen – dass die feministische Revolution im Iran von der Bundesregierung immer wieder symbolisch unterstützt wurde, dass die Parole Jin Jiyan Azadi im Parlament ertönte, aber gleichzeitig die polit-ökonomischen Beziehungen zum Iran weiter gepflegt wurden, als handelte es sich beim islamistischen Regime nicht um eine Terrorherrschaft, die so vielen das Leben kostet, in der Vergangenheit, in der Gegenwart, und solange es besteht auch in der Zukunft.

Deutsche Außenpolitik ganz nach dem Motto ,,Deutschland zuerts”, auch wenn man das so nur hinter vorgehaltener Hand sagt, offiziell nennt man das dann ,,feministische Außenpolitik” – es ist an gewohnter Heuchelei nicht zu übertreffen.

Während Annalena Baerbock und co also weiterhin so tun, als wäre die deutsche Außenpolitik von wohltätigen Motiven und nicht von knallharten Eigeninteressen getrieben, setzt man sich weiterhin an den Verhandlungstisch mit dem Mullah Regime und überlegt, wie man die eigenen deutschen Sicherheitsinteressen im gegenwärtigen Weltgeschehen am besten absichern kann – ohne Rücksicht auf Verluste.

Da haben wir als radikale Linke keine Antworten drauf gefunden – keinen entschlossenen Widerspruch formuliert oder die staatliche Vereinnahmung durchkreuzt.

Die herrschenden Strukturen anzugreifen, die uns hier und auf der ganzen Welt unterdrücken, uns voneinander isolieren, uns zermürben und uns töten – das erfordert uns als Feministinnen, als Antifaschistinnen, als Internationalistinnnen, unfassbar viel Ausdauer und Beständigkeit, einen unfassbar langen Atem, er uns manchmal dünn wird.

Für uns ist klar: Die Menschen im Iran, die Frauen, die Kurd*innen und alle Minderheiten, die jungen Generationen: Sie sollen ihre Geschichte machen können. Wir hoffen, dass sich progressive Kräfte durchsetzen. Wir wissen, dass es sich auch nur für ein Stück Freiheit mehr, für ein Stück Angst weniger, gelohnt haben wird zu kämpfen und die Köpfe zu erheben.

Wir stehen heute und auch weiterhin solidarisch an der Seite der feministischen Revolution im Iran. Einer Revolution, die als Ziel das Ende der Unterdrückung von ethnischen Minderheiten wie den Kurd*innen und Belutsch*innen, und der Unterdrückung von Frauen und queeren Menschen, ja das Ende von Unterdrückung überhaupt hat. Wir stellen uns damit hinter und neben die Menschen, die im Iran selber für ein freies und selbstbestimmtes Leben kämpfen.

Wie Mina Khani sagt: „Die Menschen, die bei der iranischen Revolution getanzt haben, hören nicht auf zu träumen“. Wir möchten nicht nur jetzt und augenblickhaft, sondern beständig und mit aller Kraft an eurer Seite bleiben, bis sich die Träume der Menschen auf den Straßen Irans verwirklichen! Denn die Kämpfe der Frauen, der Menschen im Iran sind nicht nur die Kämpfe anderer. Es sind auch unsere Kämpfe.

Für den Sieg der Revolution – für die Frauen, für das Leben, für die Freiheit! Jin – Jiyan – Azadî!